Abenteuer Eingewöhnung

Sukkulenten, Staubsauger und Schmuseattacken

 Eine Geschichte von Tina und Christian Alicke

 Vorgeplänkel 

„Wir haben ganz viel mit ihnen gespielt, die schlafen jetzt die ganze Fahrt“, sagt Gina und sortiert die richtigen Katzenkinder in den Transportkorb. Die „Richtigen“ sind in unserem Fall „Pünktchen“, ein weißes Mädchen mit schwarzen Punkten und einem grau-schwarz geringelten Schwanz, der ihre Waschbär-Abstammung verrät, und „Anton“, ein schwarzer Mini-Kater. 

Sie sind zwei von zahllosen Kätzchen, die jedes Jahr von unkastrierten, verwilderten Hofkatzen geboren werden. Gina und der Verein TiNa kümmern sich um diese Katzen, die ganz auf sich gestellt sind und meist ein sehr kurzes Leben haben. TiNa fängt die Katzen nach Möglichkeit ein, lässt sie kastrieren und sucht nach einem Zuhause für den Nachwuchs, damit der ein besseres Schicksal hat als das harte, zu oft von Hunger, Krankheit und Gefahr geprägte Leben seiner Eltern. 

„Pünktchen“ hatte das Glück, dass ihre Mama noch trächtig von TiNa eingefangen werden konnte. Sie wurde in der Pflegestelle geboren und versorgt. Da die Mutter nach einigen Wochen deutlich machte, dass es ihr mit der Kinderaufzucht reicht und sie wieder auf ihren Hof zurück will, konnte „Pünktchen“ in der Pflegestelle von Gina und Uschi sicher und geschützt auf ihr Für-Immer-Zuhause warten. Wir finden sie durch einen Freund, der auch glücklich mit einer Katze von Gina lebt, auf der Homepage von TiNa. 

In mehreren Telefonaten lernen Gina und wir uns kennen. Sie schaut sich unsere Katzenerfahrung, Lebenssituation und Wohnung an. Das gibt wiederum uns noch mehr Vertrauen in sie, den Verein und seine Arbeit. Es geht nicht darum, die Katzen „irgendwie“ oder mit Gewinn loszuwerden, sondern um gute Katzenleben. Uns gibt Gina dann zu unserer großen Freude grünes Licht. Wir dürfen „Pünktchen“ kennenlernen, mit guten Chancen, sie für immer aufzunehmen. 

Da wir wissen, wie wichtig ein Spielfreund gerade für Katzenkinder ist, bleibt die Frage, wer mit ihr zu uns ziehen wird. „Pünktchens“ Brüder, „Krümel“ und „Kleiner Eisbär“ sind auch zuckersüß, haben aber schon ein Zuhause gefunden. Und wir wünschen uns noch einen Kater. „Kein Problem“, sagt Gina. „Lasst mich mal rumhören“. 

Eine halbe Stunde später schickt sie ein Foto von einer Fledermaus. Der kleine, noch namenlose Kater besteht zu 70% aus Ohren und 20% aus goldenen Augen, der Rest ist ein bisschen schwarzes Fell. 

Im Gegensatz zu „Pünktchen“ hatte er genau den Start ins Leben, den Gina und der Verein möglichst vielen Katzen ersparen wollen. Allein, von Würmern und Flöhen befallen, fast verhungert und im Sterben liegend, wurde er auf der Straße gefunden. Er war gerade mal 7-8 Wochen alt, also eigentlich noch viel zu klein, um von der Mama weg zu sein. Seine wild lebende Mutter hatte vermutlich einen Unfall oder sie hat ihn verlassen, weil sie wieder rollig wurde, was leider häufig vorkommt. Wahrscheinlich hat ihn der Hunger aus seinem Versteck getrieben und er hatte das riesengroße Glück, von TiNa gefunden zu werden. Wir verlieben uns spontan in ihn. 

Am liebsten würden wir ihn und „Pünktchen“ sofort abholen, müssen aber noch eine Woche warten. Der Kleine hat Schnupfen – die anderen Kätzchen sind aber schon geimpft und nicht in Gefahr. Es ist eine der längsten Wochen unseres Lebens, die wir nur überstehen, weil Gina täglich Fotos und Updates schickt. Die Woche verbringen wir damit, die Wohnung katzensicher zu machen (also potenziell gefährliche Pflanzen auszulagern, aus laienhafter Menschensicht bekannte Löcher zu stopfen – die Katzen zeigen uns dann sehr schnell den überraschenden Rest – und die Grundausstattung zu besorgen). Der Abholtermin rückt näher und wir werden von Minute zu Minute nervöser. Aber es geht ja auch um zwei neue Familienmitglieder. 

Als wir „Anton“, wie der kleine Wicht übergangsweise heißt, und „Pünktchen“ 10 Tage später auf der Pflegestelle kennenlernen, ist der Winzling ein munteres, floh- und wurmfreies Katerchen, das sein Spielzeug gegenüber den 5 Wochen älteren Kätzchen verteidigen kann und ein so pralles Bäuchlein hat, als habe er einen Baseball verschluckt. Außerdem ist er wie alle Kätzchen dort – und das ist ein Wunder, dessen Geheimnis nur Gina und Uschi kennen – völlig stubenrein. Das hat bei unseren beiden vorher 3 Wochen gedauert. 

„Pünktchens“ schüchterne Annäherung dauert genau 28 Sekunden. So lange braucht sie, um meine Tasche zu inspizieren und sich danach uns zuzuwenden. Sie ist Menschen gewöhnt und erwartet nur Liebe und Streicheleinheiten. „Anton“ ist deutlich schüchterner, aber das darf er auch. Gina hat uns versichert, dass sich die beiden gut verstehen und wir vertrauen völlig ihrer jahrelangen Katzenerfahrung. 

Was die Heimfahrt angeht, haben allerdings Ginas und unsere jahrelange Katzenerfahrung die Katzen unterschätzt – sie machen eine ganze Menge, aber schlafen gehört nicht dazu. „Noch-Pünktchen“ tut während der ersten Hälfte der Fahrt ins neue Zuhause dem gesamten Rhein-Main-Gebiet kund, dass gerade eine Katze entführt wird, und quietscht aus voller Kraft. „Noch-Anton“ hat sich in sein Schicksal ergeben und würde gerne schlafen, kann aber nicht, weil sie ständig auf ihn tritt. Dann muss „Noch-Pünktchen“ unbedingt durch die Gitter des Katzenkorbs schmusen. Er nimmt seinen ganzen Löwenmut zusammen und schmust mit. Ich bin froh, dass ich hinten sitze, es ist dringend! Erst als wir in Wiesbaden einrollen, sind die beiden so k.o., dass sie umfallen. 

Angekommen, ignoriert „Noch-Pünktchen“ sämtliche Katzenbücher, die propagieren, dass sich Katze erst einmal zu verstecken hat, und geht sofort auf Erkundungstour im Eingewöhnungszimmer. „Noch-Anton“ hält sich strikt an die Vorgaben, zieht sich erst einmal unter den Tisch zurück und beobachtet alles ganz genau. Das ist vernünftig, genau dieses Verhalten hat ihm als verlassenes Baby im Katzenbau das Leben gerettet. 

Das „Noch“ ist der Tatsache geschuldet, dass beide Katzen neue Namen brauchen. Mein Mann stammt aus Südamerika und wir haben viele Freunde, die „ü“, „ch“ und mehrere Konsonanten hintereinander schlicht nicht aussprechen können. 

Nach langer Vorauswahl haben wir uns auf drei Namen pro Katze geeinigt. „Pünktchen“ entscheidet sich im bewährten Goodie-Test, gleich zweimal für „Mimmi“, auch wenn das Mimmi-Goodie das zweite Mal viel weiter weg liegt. Die anderen beiden Namen (Kira oder Mara) hätten uns mindestens genauso gut gefallen, aber die Katze entscheidet. Also heißt sie ab jetzt Mimmi. 

„Anton“ kennt noch keine Goodies, obwohl er sonst sehr gerne frisst, und ignoriert seine vollkommen. Also heißt er ab jetzt „Loki“, ob er nun will oder nicht. Wer so gekonnt das Schicksal überlistet, hat den Namen des nordischen Trickster-Gottes verdient! 

Da der neu getaufte Loki mit unserer weitläufigen Wohnung noch überfordert ist, trage ich ihn zum Futternapf. Das ist ein Fehler, seitdem wohnen bei uns der gute Mensch (mein Mann) und die böse Hexe, die kleine schwarze Kater frisst (ich). Während Mimmi spielt, schnurrt und schmust, hoppelt er in Sicherheit, sobald ich auch nur atme. Er verzeiht mir erst am nächsten Tag. 

Den zweiten Tag verbringen wir vor allem damit, kleinen Katzen den Spaß zu verderben. Wir lernen, dass Mini-Katzen in Löcher passen, die etwa ein Viertel so groß sind, wie die Gesetze der Physik es erlauben. Danach stopfen wir unter empörtem Protest die Löcher zu. Der Rest ist das, was Psychologen „bonding“ nennen. Beide Katzen haben jegliche Scheu über Bord geworfen und fordern ausgiebige Spiel- und Schmusezeit. Sobald eine Babykatze plötzlich nicht mehr von dir weg, sondern auf dich zu läuft, schmilzt das Menschenherz. Außerdem verhelfen sie Mensch zum Mittagsschlaf. Denn wenn deine Katze auf dir schläft, darfst du dich nicht bewegen – so will es das Gesetz! Bei 34 Grad im Schatten sind 38 Grad heiße Fellbündel auf dem Arm eine Herausforderung, aber wir haben selten so glücklich geschwitzt. 

Wir müssen wieder arbeiten, haben aber aus Gründen der Katzeneingewöhnung beide Homeoffice. Die Katzen finden das großartig. Mimmi steppt mit allen 4 Pfoten auf der Tastatur und verschickt ihre erste Mail, bevor ich sie vom Laptop pflücken kann. 5 Minuten später fragen die ersten Kolleg*innen besorgt an, ob ich gerade einen Schlaganfall erlitten habe. Mimmis Enthusiasmus ist vorbildlich, ihre Rechtschreibung lässt aber zu wünschen übrig. „Liebe Kolleg*innen, erzihfFhkljgxsd“ ist nicht für jede*n unmittelbar verständlich. Da ich großartige und sehr katzenfreundliche Kolleg*innen habe, klärt sich alles auf, sobald ich Fotos von den Mini-Katzen schicke. Mimmis ersten Eintrag in meinen Arbeitskalender lasse ich aber stehen. Wer weiß, wofür „xxxxxsssssssfffssffffffsssd“ nochmal gut ist! 

Loki findet derweil in einen gesunden Spiel-, Speise- und Schmuse-Rhythmus. 

Die Katzen haben einen schweren Tag. Alles beginnt, als Loki hinterrücks von einer Sukkulente überfallen wird. Mit Topf wiegt sie etwa viermal so viel wie er. Er ringt sie aber erfolgreich zu Boden. Die gute Nachricht ist, dass der Kleine mittlerweile so viel Vertrauen hat, dass er sich nicht mal erschreckt, als das Ding herunter kracht, sondern stolz die erlegte Sukkulente präsentiert. Das alles passiert, als sich die in diesem Moment für Mini-Katzen Zuständige gerade in einer längeren Diskussion mit Mimmi befindet, dass man Pflanzen nicht nur nicht essen, sondern sie auch nicht erklimmen darf. Jedenfalls kommt danach das Böse- Katzenfressende-Brüll-Monster (Menschen nennen es euphemistisch „Staubsauger“) und traumatisiert beide Katzen nachhaltig. Wobei „nachhaltig“ etwa 20 Minuten dauert. Dann wird umgehend die immer noch akute Pflanzenbedrohung erneut ins Visier genommen. 

Unsere beiden ersten Katzen, Tommi und Mila, waren wunderbare, menschenbezogene, über alles (und das für immer) geliebte Kuschel- und Schmusekatzen. Abgesehen davon hatten sie eine gewisse Bauernschläue, waren aber sonst eher schlichtere Gemüter. So lange Mensch in Pfotenweite war, war das Leben in Ordnung! Nach 5 Tagen stellen wir fest, dass Mimmi und Loki verdächtig clever scheinen. Sie haben selbständig die anderen beiden Katzenklos gefunden, als solche identifiziert und ihrer sachgerechten Bestimmung zugeführt. Das heißt, sie verdrücken ein Viertel ihres Körpergewichts und scheiden davon die Hälfte ortsgerecht wieder aus. Außerdem verbinden sie die Küche mit „gleich gibt’s was Leckeres“, obwohl wir sie nie in der Küche füttern. In zwei Monaten verkabeln sie vermutlich die Stereoanlage neu. Da so viel Hirnleistung anstrengend ist, wird danach gekuschelt, bis der Arzt kommt. 

Eigentlich kommt der Arzt erst am nächsten Tag und eigentlich fahren wir zu ihm hin. 

Der Wichtel-Kater ist fidel, spielt begeistert und frisst wie ein Scheunendrescher, aber er klingt wie eine Quietsche-Ente. Zwar ist das Schniefen im Moment ganz praktisch (er ist winzig, schwarz und damit vor dunkler Einrichtung ausgesprochen gut getarnt, so wissen wir wenigstens, wo er ist), aber wir wünschen uns und vor allem ihm sehr, dass er schnell noch den Rest der Erkältung los wird. 

Am 6. Tag wird das Quietschen so schlimm, dass es Loki am Essen hindert. Außerdem kommt zum Quietschen noch ein Rostiger-Türangel-Sound. Das ist der Moment, als mein Mann früher nach Hause kommt und ich den Kater in die Klinik nach Walluf karre. Die Untersuchung ergibt, dass seine Atemprobleme Nachwirkungen des Katzenschnupfens sind und er noch einmal Antibiotika braucht. Der Versuch, sie ihm einfach ins Maul zu geben, ist Geschichte, als uns die Handvoll Kater die Medizin immer wieder energisch in hohem Bogen entgegen spuckt. Mühsam pulverisiert und ins Futter beigemengt frisst er sie aber. Danach atmet er deutlich leichter. Wenn wir gläubiger wären, würden wir die Tierärztin in unsere Abendgebete einschließen. 

Unser vorsichtiger Versuch, die Katzen bei uns schlafen zu lassen, scheitert erst einmal spektakulär. Die nun offene Tür und beide Menschen, die extra für sie unbequem im Wohnzimmer schlafen, sind völlig irrelevant. Beide Katzen ziehen sich für den gesunden 

Nachtschlaf ins angestammte „Eingewöhnungs“-Zimmer zurück. Als jemand, der 13 Jahre lang um 6 h morgens durch Geschnurre und zärtlichen „ich-bin-Fleischfresser-und-putze-mir-nie-die-Zähne“-Atem im Gesicht geweckt wurde, hat das einerseits etwas für sich. Andererseits bin ich etwas beleidigt. Mit etwas mehr Kraft hätten die beiden wohl die Tür hinter sich zugeknallt. Pff, dann können wir auch wieder ins Schlafzimmer umziehen. 

Die Katzen sind mit Schnauze, Schwanz und Seele angekommen. 90% der Paketlieferungen gehören ihnen. Loki ringt meinen Mann mit brutaler Niedlichkeit zu Boden. Der Mann geht in die Küche mit den Worten „ich hole mir schnell was zu Trinken“. Als ich 15 min später mal nachschaue, wo er bleibt, finde ich ihn auf den Knien, Lokis Bäuchlein streichelnd. Da seine Knie auch nicht mehr sind, was sie mal waren, setzt er sich irgendwann hin. Die Chance nutzt der Mini-Kater, um schnurrend den 80x so großen Mann zu erklimmen. Die Szene erinnert an ein Kriegsdenkmal, nur dass die Besiegten da normalerweise nicht so glücklich lächeln. 

In der Nacht zum Sonntag entdeckt Mimmi, dass sie um 4:30 h die Menschen ganz für sich alleine haben kann. Bisher hat sie den Wicht ins Schlafzimmer vorgeschickt, aber jetzt schläft sie glücklich schnurrend auf mir ein. Als Loki zu seiner Normalzeit um 5:30 h auftaucht, ist sein Platz belegt. Ihn ficht es nicht an, er legt sich einfach über meinen Hals. Ich habe also im Hochsommer zu unchristlicher Zeit zwei fellige, warme und sehr laute Schals auf mir liegen, die gemeinsam schnurren wie etliche Harleys. Es gibt kein schöneres Geräusch auf der Welt. 

Die Katzen haben noch nicht einmal 10 Tage gebraucht, um vollständig bei uns anzukommen und ihre Mini-Krallen in unsere Herzen zu schlagen. Und wir hoffen, dass das noch mindestens zwei Jahrzehnte so bleibt! Einen riesengroßen Dank in an Gina, Uschi und alle, die sich bei TiNa für viele Katzenleben und glückliche Menschen einsetzen!