Kaffeepause mit Frischling
Frau P. ist Busfahrerin. Ihre Pause verbringt sie wie jeden Abend mit einem heißen Kaffee an der frischen Luft. Es hat klirrende minus 7 Grad. Auf einmal hört sie ein Quietschen und Schreien, das eindeutig von einem Tier kommt. Sie sieht sich um und entdeckt einen winzigen Frischling, der auf dem Busparkplatz am Waldrand hilflos umher irrt.
Frau P. weiß: wenn die Rotte in der Nähe ist, sollte sie besser Abstand gewinnen, denn kommt man einem Jungtier zu nahe, wird die Bache (das Mutter-Wildschwein) zur Lebensgefahr. Aus dem sicheren Bus heraus beobachtet sie das kleine Wesen, doch trotz der Schreie des Kleinen zeigt sich kein weiteres Wildschwein.
Eine Handvoll Schwein
Nach einer Weile steigt sie wieder aus dem Bus und nähert sich dem Frischling. Immer noch keine Spur einer Rotte. Außer den Hilferufen kein Geräusch – kein Schnauben, kein Brechen der Zweige im Gebüsch. Sie fasst ihren Mut zusammen, nähert sich dem winzigen Tier und nimmt es auf den Arm. Der Frischling ist nur ein bisschen größer als ihre Hand und drückt sich augenblicklich fest an sie. Mit dem Schweinchen auf dem Arm läuft sie noch einmal vorsichtig den Waldrand ab, bevor sie mit ihm in den Bus steigt.
Keine Wilderei!
Frau P. ist bewusst, dass es sich um ein Wildtier handelt, das sie nicht einfach mitnehmen darf. Während das anscheinend verlassene kleine Junge sich in ihren Schoß drückt, versucht sie deshalb, über die Polizei einen Jagdpächter zu erreichen. Erfolglos. Letzterer ist nicht ans Telefon zu bekommen.
Also informiert Frau P. die Polizei darüber, das sie das kleine Wesen, das offensichtlich verlassen ist, mit nach Hause nimmt. Am nächsten Tag wird sie sich darum zu kümmern, dass es in professionelle Hände kommt.
Happy End
Frau P.s Findelkind bekam den Namen Frederike und wurde noch am selben Abend von ihrem Kater adoptiert. Während Frau P. sich in den Folgetagen auf die Suche nach Hilfe machte, diente die Samtpfote als Kuschelkissen, Lehrer und Mutterersatz für das kleine Wutzchen.
Nach etlichen Telefonaten, unter anderem mit TiNa, konnte für Frederike ein Zuhause gefunden werden. Über ihre berufliche Zukunft wurde auch schon entschieden! Sie lebt nun in Bayern und wird zu einer „Fährtensau“ ausgebildet. Wenn sie groß genug ist, wird sie mit ihrem neuen Besitzer durch den Wald laufen und dabei Fährten legen, die ein paar Stunden nach dem Spaziergang von Jagdhunden in der Ausbildung abgelaufen werden müssen. Bis die Hunde kommen, wird Frederike bereits wieder Zuhause sein und sich genüsslich in einer Schlammkuhle suhlen.
Wir danken Frau P. für die Rettung des kleinen Frischlings, der ohne sie verendet wäre. Nun hat er eine wohl behütete Zukunft vor sich.
Dank auch an alle Mittelsleute!
Besondere Vorsicht geboten!
Lebensgefahr
Es kommt in der Natur vor, dass besonders kleine oder schwache Tiere von der Rotte verlassen werden – manchmal können sie aufgrund ihrer geringeren Größe oder weil sie schwächer ausgebildet sind als ihre Geschwister schlicht nicht mit dem Tempo mithalten. Dennoch ist höchste Vorsicht geboten, sollte man in die selbe Situation wie Frau P. geraten.
- Nähert man sich einem Frischling, ohne sich zu vergewissern, dass es sich um ein wirklich verlassenes Tier handelt, kann es schnell lebensgefährlich werden. Eine Bache kann ein Körpergewicht von 150 kg erreichen und ist mit rasiermesserscharfen Eckzähnen ausgestattet. Beides wird sie mit aller Kraft zum Einsatz bringen, wenn ihren Nachkommen Gefahr droht.
- Auch ist die Meldung beim zuständigen Jäger, alternativ bei der Polizei Pflicht, da man sich der Wilderei schuldig macht, nimmt man ein Jungtier einfach mit nach Hause.
- Zu guter Letzt: Frau P. hat das unglückliche Tierchen nicht seinem Schicksal überlassen. Ohne die Rotte verenden Junge qualvoll oder sind leicht Beute für verschiedene Räuber. Nachdem sie sicher war, dass der Frischling tatsächlich verlassen war, hat sie ihn so vor Leid, Schmerz und wahrscheinlich dem Tod bewahrt.
Das natürliche Alter von Wildschweinen in der freien Wildbahn liegt bei maximal 13 Jahren. Die Geschichte einer Fährtensau, die mit 15 Jahren uralt werden konnte, ist hier sehr schön beschrieben.